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Takashi Ikeda

»Wohnstätte« als übersehener Ort des Denkens: Eine feministische Perspektive zum Thema | Home as a lost place of thinking: A feminist perspective on the theme

Takashi Ikeda, geboren 1977 in Tokyo, Japan, studierte Philosophie und promovierte 2008 an der Universität Tokyo. Derzeit ist er ordentlicher Dozent an der Literarischen Fakultät der Meiji Universität in Tokyo.

 

Die Menschen denken und sprechen über ihre Gedanken an verschiedenen Orten der Welt: Im Parlament, im Hörsaal, im Kaffeehaus und auch zu Hause. In Via activa oder vom tätigen Leben betonte Hannah Arendt, dass die menschliche Lebenssphäre seit dem Beginn der westlichen Tradition in „öffentliche“ und „private“ Sphäre geteilt ist, wobei Ersteres als der genuine Bereich des moralischen und politischen Denkens oder Sprechens legitimiert wird. Unter dem Motto „das private ist politisch“ problematisierten feministische Wissenschaftlerinnen, dass die Aktivitäten und Arbeiten des Menschen, die zu Hause grundsätzlich von Frauen getätigt werden, in den politischen und auch philosophischen Diskursen nicht wahrgenommen bzw. trivialisiert und als „private Angelegenheiten“ de-politisiert werden. Trotz diesen Strömungen zögerten sie, den Bereich des Zuhauses positiv zu beschreiben, weil es ihnen schien, dass die positive Beschreibung der häuslichen Aktivitäten die konservativ-essentialistische Interpretation des „Haushaltes“ als weibliche Arbeiten unterstützen würde. Das Zuhause, die Wohnstätte blieb daher weiterhin in Diskursen ein übersehener Ort des philosophischen und politisch-kritischen Denkens.  

In letzter Zeit wird der Begriff des Zuhauses jedoch häufiger diskutiert. Für die Re-Interpretation der Bedeutung des Zuhauses führt beispielsweise Iris Marion Young den Begriff des Wohnens bei Martin Heidegger an. In Bauen, Wohnen, Denken suggeriert Heidegger, dass dieser Begriff historisch gesehen mit der Freiheit zusammenhängt. Auch in der Gegenwart bedeutet das Bauen eines Zuhauses, wie die afrikanische Feministin Bell Hooks aufzeigt, für Afroamerikanerinnen einen Ort zu gründen, wo das Denken und Sprechen gegen soziale Unterdrückung und über ihre Freiheit statt-finden kann. Inspiriert von Heideggers Begriffen und historischen Beispielen versucht Young das Bauen und Schonen eines Zuhauses als menschliche Tätigkeit zu begreifen, wodurch das autonome Subjekt zum Tragen kommt. Wichtig dabei ist, den Begriff des Zuhauses als Stätte vom Begriff des Hauses als Wohnung oder Einfamilienhaus zu unterscheiden. Letzteres weist auf ein Eigentum hin, auf einen geschlossenen und vergegenständlichten Raum, welches in den modernen Konzeptionen als Handelsware besessen und verkauft werden kann und als Maßstab für den sozialen Status gilt. Das Zuhause als Wohn- und Lebensstätte kann hingegen niemals auf die materiellen vier Wände reduziert werden, sondern es bedeutet in verschiedenen Kontexten einen Ort, durch den sich für den Menschen überhaupt die Welt öffnet, an dem Weltoffenheit geschieht. Im Japanischen etwa wird der Begriff des Zuhauses oft im Sinne eines Versammlungsortes verstanden, der als Verband von Menschen fungiert, wo sich Gruppen von Menschen jenseits geschlossener Institutionen frei organisieren können.

In diesem Sinne gilt es, einerseits die Problematik einer modernen Ideologie aufzuzeigen, die den Ort der Wohnstätte auf ein rein vergegenständlichtes Besitztum reduziert und anderseits Kritik an einer politischen Tradition des Westens zu üben, die in eine Dichotomie zwischen öffentlicher und privater Sphäre aufbaut, wobei die Wohnstätte zu einer scheinbar de-politisierten Privatangelegenheit gemacht wird. Es gilt mit Hilfe eines phänomenologischen Feminismus die Bedeutung des Zuhauses als Wohn- und Lebensstätte neu zu überdenken und dabei der ontologischen Offenheit, sowie der politischen Relevanz des Wohnortes gerecht zu werden.

 

 

Takashi Ikeda, geboren 1977 in Tokyo, Japan, studierte Philosophie und promovierte 2008 an der Universität Tokyo. Derzeit ist er ordentlicher Dozent an der Literarischen Fakultät der Meiji Universität in Tokyo.

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