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Fabian Steinschaden

Das Denken der Nicht-Orte | The Thinking of Non-Places

 

Die Analyse von Veränderungen der sozialen Wirklichkeit in der Spätmoderne nimmt in den (sozial-)philosophischen Debatten zusehends breiteren Raum ein. Insbesondere Marc Augés (1994), an Michel de Certeaus (1988) Überlegungen zu Raum und Ort anschließendes Konzept der Nicht-Orte stellt einen interessanten Versuch dar, eine spezifische Form dieser Umwälzungen zu denken.

Augé geht davon aus, dass unsere Gegenwart eine besondere Form von Orten hervorbringt, deren grundlegender Charakterzug darin liegt, weder über Identität, Relation oder Geschichte zu verfügen: Nicht-Orte, die uns etwa in Form von Shopping-Malls, Autobahnen, Fitnesscenter, Fast-Food -Ketten, Flughäfen oder Hotels begegnen, seien qualitativ verarmt, bar jeden symbolischen Ausdrucks, monoton und arm an Bedeutung.

Nicht-Orte kennen keine BewohnerInnen, sonder nur noch temporäre BenutzerInnen. Sie werden nicht behaust, sondern durchquert. Eine entscheidende Funktion der Nicht-Orte besteht darin, die Anwesenheit dieser BenutzerInnen möglichst isoliert zu gestalten und zwischen den Anwesenden (zufällige) Kontakte zu verhindern oder zumindest auf eine flüchtige Bekanntschaft zu beschränken. Wer sich in Nicht-Orten bewegt, ist grundsätzlich vereinzelt und einsam. Insofern verstärken Nicht-Orte die gegenwärtig ohnehin dominanten Formen individualistischer Subjektivierungsformen und erschweren Formen der Gemeinschaft oder der gemeinsamen Erfahrung. Als Orte des erhöhten Tempos und der Sterilität verunmöglichen sie darüber hinaus Haltungen wie die der Kontemplation oder des Verweilens, die für tiefgehende Erfahrungen und philosophische Reflexion bedeutend sind (Han 2009).

Gegenwärtig bewegt sich eine stetig wachsende Zahl an Menschen einen großen Teil ihres Lebens in und durch Nicht-Orte, wobei die Nicht-Orte selbst ebenso an Zahl und Ausdehnung zunehmen. Insbesondere Zygmunt Bauman (2003) hat gezeigt, dass in den letzten Jahrzehnten eine globale Elite entstanden ist, deren auffälligste Eigenschaft in Gleichförmigkeit und weltweiter Uniformität besteht. Nicht-Orte sind die soziale Grundlage für diese „neuen Kosmopoliten“ (Bauman 2009) die über den ganzen Erdball jagen, ohne je in Berührung mit fremden Kulturen oder Denken zu kommen und deren Kultur trotz ihrer globalen Lebensweise alles andere als hybrid oder vielfältig ist. Was in den Nicht-Orten entsteht, ist ein eindimensionales Leben und damit einhergehend ein Denken, dass Neues oder Fremdes nicht mehr wahrnehmen kann.

Die philosophischen Forschung steht angesichts der zunehmenden Ausbreitung dieser Nicht- Orte vor einer doppelten Aufgabe: einerseits gilt es, die Nicht-Orte philosophisch zu erschließen und sie dabei auch als Ausdruck spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse und Veränderungen zu kontextualisieren (Harvey 2006). Andererseits muss auch der Frage nachgegangen werden, welche (möglichen) Auswirkungen Nicht-Orte auf das philosophische Denken selbst haben. So drängt sich nicht zuletzt die Frage auf, wie sich Philosophie verändert, wenn in Zukunft auch Universitäten und andere Forschungsstätten zu Nicht- Orten werden oder wenn PhilosophInnen selbst nur noch in den Nicht-Orten einer globalisierten Universitätswelt verkehren.

 

 

Mag. Fabian Steinschaden hat an der Universität Wien Philosophie und Germanistik studiert und arbeitet zurzeit als Deutschlehrer in Wien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sozialphilosophie, Technikphilosophie und Bildungsphilosophie.

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