Logo der Universität Wien

Barbara Reisinger

Ausdehnung und Milieu. Überlegungen zum Raum in der niederländischen Interieurmalerei. | Extension and Milieu. Thinking about Space in Nederlandish Interior Scenes.

 

"Indessen, wenn uns auch die Sinne zuweilen über kleine und ferner liegende Gegenstände täuschen, so ist doch an den meisten zu zweifeln gar nicht möglich, ungeachtet ihres sinnlichen Ursprungs; so z.B. daß ich hier bin, am Ofen sitze, meinen Winterrock anhabe, dieses Papier mit den Händen berühre und dergleichen." (R. Descartes)

Die Lebensdaten von René Descartes (1596-1650) fallen in jenes Jahrhundert, das als das Goldene Zeitalter der Niederlande gilt, wo Descartes 1629-49 auch lebte und publizierte. Wörtlich genommen erscheint der Ort seines Denkens – wo man sich Descartes im Winterrock am Kamin sitzend vorstellen kann – also als derjenige Raum, der in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhundert zum Sujet einer neuen Gattung wurde: des Interieurs.

Die Interieurmalerei zeigt nun aber nicht Männer beim Denken, sondern bevorzugt Hausfrauen und Dienstmägde bei ihren üblichen Verrichtungen, bei Haus- und Handarbeiten, bei der Sorge um die Kinder des Hauses. Das innenräumliche Milieu wird nicht nur von seiner Verknüpfung mit dem Weiblichen bestimmt, sondern auch durch seine Begrenzung. Die Schwellen zwischen verschiedenen Räumen zeigen sich in den Interieurs von Pieter de Hooch (1629-1684) als beständiges, variationsreiches Motiv. Halboffene Türen, Fenster und auch gemalte Gemälde geben Ausblicke auf Straßen, Innenhöfe und angedeutete Landschaften. Neben dem Blick aus dem Fenster, der paradigmatisch für die Schwelle zwischen Kultur und Natur steht, eröffnen sich feinere Zwischenschritte. Die Tür etwa grenzt den privaten vom öffentlichen Raum ab, wobei sich zwischen beiden diese zwei Räume noch Mischformen schieben, wie etwa ein Vorraum oder ein Stufenaufgang. Ebenso graduell definieren sich auch die Rollenbilder für Frauen und Männer, die sich durch die Zuordnung zu verschiedenen Räumen herausbildeten. Während der niederländische Mann des goldenen Zeitalters typischerweise außer Haus seinen Geschäften nachging, oder auf Handelsreisen den öffentlichen Raum der Niederlande bis in die Kolonien ausdehnte, blieb die Frau als Herrin des Hauses zurück.

Zwischen den ortsgebundenen Hausfrauen und den oft bloß angedeuteten, beweglichen Geschäftsmännern entfaltet sich das spezifische Merkmal der Interieurmalerei, das sie von anderen Szenen, die im Innenraum stattfinden, abhebt. Nur wenn sich die dargestellten Figuren der (malerischen) Definition des Raums, dem “Milieu des Innenräumlichen” unterordnen, handelt es sich um ein Interieur und nicht etwa um ein Portrait im Innenraum. Welcher Art ist nun dieser Raum, der so eng mit denen verwoben scheint, die ihn bewohnen? Wie verhält sich der Raum des Interieurs mit seinen Schwellenmotiven zu philosophischen Raumkonzepten? Mit Blick auf die perspektivisch-geometrische Konstruktion des gemalten Raumes, in den Pieter de Hooch seine Figuren im Nachhinein einträgt, nähert sich das fraglichen Raumverständnis nun doch an den cartesischen Begriff der messbaren Ausdehnung an. Was also liegt Descartes zufolge zwischen den Körpern und wie verhält sich dieser Zwischenraum zum Milieu des Interieurs?

 

 

Barbara Reisinger hat in Wien und Linz Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Derzeit  bereitet sie ihre Promotion in Kunstgeschichte vor.

Universität Wien | Universitätsring 1 | 1010 Wien | T +43-1-4277-0